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Unbegleitete Minderjähige Flüchtlinge mit traumatischen Erfahrungen: Eine Herausforderung für die Soziale Arbeit

Katarina Podlech

Zusammenfassung: Viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben in ihrem Heimatland oder auf der Flucht traumatische Erfahrungen gemacht. Dies stellt erhöhte Anforderungen an die pädagogische Betreuung dieser Zielgruppe. Sozialpädagogisches Handeln bewegt sich hier jedoch zwischen zwei Fronten: Auf der einen Seite stehen die Ansprüche der Sozialpädagogik: Vertrauen herzustellen, Integration zu fördern und Zukunftsperspektiven aufzubauen. Auf der anderen Seite stehen die Regelungen des Ausländer- und Asylrechts, die bei dieser Zielgruppe das Erreichen der genannten pädagogischen Ziele erschweren oder gar verhindern. Darüber hinaus sind Kenntnisse über Traumata und ihre Folgen bei jungen Flüchtlingen unter pädagogischen Fachkräften noch zu wenig bekannt und es fehlen sozialpädagogische Standards zur Betreuung dieser Zielgruppe.

Problemaufriss

Weltweit sind nach Schätzungen von Flüchtlingsorganisationen sechs bis zehn Millionen Kinder und Jugendliche allein auf der Flucht. Sie fliehen vor Bürgerkrieg, Gewalt, drohendem Kriegsdienst oder politischer Verfolgung, vor Perspektivlosigkeit oder wegen der völligen Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Nur wenige von ihnen kommen nach Deutschland und reisen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Bundesrepublik ein. Schätzungsweise leben zur Zeit circa fünftausend bis zehntausend unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland. Viele der jungen Flüchtlinge sind durch ihre Erlebnisse in ihrem Heimatland und auf der Flucht traumatisiert. Sie haben Mord, Zwangsrekrutierung, Vergewaltigung, Folter, organisierte Gewalt und bewaffnete Konflikte erfahren. Unter Umständen haben sie nie ein Leben in Sicherheit und „Normalität“, mit regelmäßigem Schulbesuch und ohne wirtschaftliche Not, erlebt.

Es gibt verschiedene Gründe, warum minderjährige Flüchtlinge allein, ohne die Begleitung ihrer Eltern oder anderer Verwandter, in die Bundesrepublik kommen. Viele Familien werden bereits im Heimatland getrennt, zum Beispiel durch die Verhaftung der Eltern. Minderjährige aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten kommen auch oft als Waisen in die Bundesrepublik, da ihre Angehörigen bei Kriegshandlungen umgekommen sind. Ein Teil der Kinder und Jugendlichen wird von ihren Eltern oder von anderen Verwandten in die Bundesrepublik geschickt.

Der psychosozialen Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Allgemeinen und den Bedürfnissen von traumatisierten unbegleiteten Minderjährigen im Besonderen ist bis jetzt in der pädagogischen Fachliteratur nur wenig Beachtung geschenkt worden. Angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen ist jedoch auch in Zukunft damit zu rechnen, dass Flüchtlinge, und somit auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, in die Bundesrepublik kommen.

Fachkräften müssen deshalb Kenntnisse vermittelt werden, die sie in die Lage versetzen, Auffälligkeiten und Symptome im Zusammenhang mit Traumata zu erkennen und Hilfen einzuleiten.

Zur rechtlichen Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Die rechtliche Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland ist gekennzeichnet durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Rechtsgebiete, deren Zielsetzungen sich im Spannungsfeld zwischen Kinderschutz und Abwehr von Einwanderung bewegen. Den nationalen und internationalen Gesetzen und Abkommen zum Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (und anderen Kindern und Jugendlichen) steht das deutsche Asyl- und Ausländerrecht gegenüber, das vorwiegend ordnungsrechtliche Interessen beinhaltet.

Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen sind auf internationaler Ebene die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (KRK) und das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA), auf nationaler Ebene auf der einen Seite das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), auf der anderen Seite die Bestimmungen des Ausländer- und Asylrechts der Bundesrepublik Deutschland.

Dem in der KRK formulieren Gedanken des Kindeswohls in Form von Schutzrechten wird im deutschen Ausländer- und Asylrecht nicht ausreichend Rechnung getragen (Vgl. Menzel 1996, S.24). Nach Artikel 22 Absatz 1 KRK haben die Vertragsstaaten die Verpflichtung, einem Kind, das als Flüchtling anerkannt werden will oder als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht. Weiter stehen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen dieselben Schutzmaßnahmen zu wie allen anderen Kindern, die vorübergehend oder auf Dauer von ihrer Familie getrennt sind (Artikel 22 Absatz 2 Satz 2 KRK). Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind somit im Rahmen der Jugendhilfe anderen Kindern gleichzustellen. Anlässlich der Ratifizierung der KRK 1992 formulierte die damalige Bundesregierung jedoch eine völkerrechtliche Erklärung, die u.a. beinhaltet, dass die Kinderrechtskonvention nicht die Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung bezüglich der Frage einschränken darf, wer unter welchen Bedingungen nach Deutschland einreisen und hier verbleiben darf. Vor allem aufgrund dieser völkerrechtlichen Erklärung ist Artikel 22 KRK für Flüchtlingskinder in Deutschland bislang ohne Bedeutung geblieben. Während die Wirksamkeit der KRK rechtlich umstritten ist (Vgl. Angenendt 2000, S. 36), ergibt sich aus dem MSA ein Anspruch auf Maßnahmen im Rahmen der Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das KJHG bildet im Zusammenhang mit dem MSA die wichtigste Rechtsgrundlage für den Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.

Einschränkungen der Schutzrechte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ergeben sich vor allem aus der Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Asylverfahren nach Paragraph 12 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Danach sind Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, zu Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz fähig, das heißt sie müssen ihr Asylverfahren selbst betreiben, während unter 16-jährige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge für dessen Durchführung einen gesetzlichen Vertreter brauchen. Diese Regelung hat in der pädagogischen Praxis weitreichende Folgen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, weil sie von vielen Behörden als eine umfassende Handlungsfähigkeit interpretiert wird. Das heißt, 16- bis 18-jährige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden z.T. auch außerhalb des Asylverfahrens wie Erwachsene behandelt und von Jugendhilfemaßnahmen ausgeschlossen. Darüber hinaus ist die aufenthaltsrechtliche Stellung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der Regel von großer Unsicherheit geprägt. In den meisten Fällen erhalten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nur eine Duldung nach Paragraph 55-56 Ausländergesetz (AuslG) (vgl. Jockenhövel-Schiecke 1998, S. 174). Eine Duldung stellt jedoch keinen rechtmäßigen Aufenthalt dar, sondern ist nur die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Bezüglich des Aufenthaltsrechts bleibt abzuwarten, welche Veränderungen das von der Bundesregierung geplante Zuwanderungsgesetz bringen wird.

Zur psychosozialen Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind besonders starken Belastungen ausgesetzt. Die Kinder und Jugendlichen müssen oft ganz auf sich selbst gestellt den Verlust ihres Landes und ihrer Eltern bewältigen, die erlebten Traumatisierungen verarbeiten und daneben in neue soziale Beziehungen im Kontext unbekannter soziokultureller Normen investieren.

Oft fühlen sich die Minderjährigen durch den nicht gelebten Abschied von Familie und Freunden traurig, entwurzelt und depressiv. Diese bedrückende Situation wird durch die Anforderungen des fremden Landes noch intensiviert. Dazu gehören vor allem, die neue Sprache zu lernen und sich an fremde Verhältnisse anpassen zu müssen, wie zum Beispiel an das „verkehrte“ Geschlechterverhältnis in Deutschland. Hinzu kommen noch die Aufträge der Eltern: viel zu lernen, höflich zu sein, Geld zu verdienen und zu schicken etc. Viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge fühlen sich ihrer neuen Umgebung ausgeliefert. Zu diesem Gefühl tragen verschiedene Faktoren bei, wie zum Beispiel Kommunikationsprobleme oder das Unverständnis gegenüber den Anforderungen des Asylverfahrens, das den Minderjährigen nicht oder nur unzureichend erklärt wird. Manche Jugendliche haben darüber hinaus völlig überhöhte und unrealistische Erwartungen an ihr Leben im Exil. Nach einer Phase der Euphorie sind sie dann häufig enttäuscht und sehnen sich wieder nach ihrem Herkunftsland. Oft kommt es einige Zeit nach der Ankunft oder auch sehr viel später zu einem seelischen Zusammenbruch, häufig in bestimmten Entwicklungsphasen, wie beim Übergang von Schule zu Beruf oder beim Aufbau einer Partnerbeziehung.

Die häufigsten Reaktionen auf traumatische Erfahrungen sind Symptome der Posttraumatic Stress Disorder (PTSD). Pädagogische Fachkräfte sollten darauf achten, ob Kinder und Jugendliche unter wiederholten Schlafstörungen mit Alpträumen leiden, unkonzentriert wirken, in der Schule nicht aufpassen können und aggressives oder stark passives Verhalten mit Rückzugstendenzen zeigen. Wiederholte Klagen über Bauch- oder Kopfschmerzen und generell ängstliches Verhalten müssen vor einem möglichen traumatischen Hintergrund betrachtet werden. Bei Jugendlichen kann antisoziales Verhalten auftreten, die Autorität der Erzieher wird möglicherweise in Frage gestellt. Eine allgemein stark pessimistische Sicht der Zukunft kann ebenfalls auf erfahrene Traumatisierung hindeuten. Gefühle der Angst und Verletzbarkeit sowie Schuldgefühle führen zu einem starken Bedürfnis nach Sicherheit und verständnisvoller Unterstützung durch Erwachsene. Einige Kinder und Jugendliche entwickeln ein starkes prosoziales Verhalten. Dadurch kann die Erfahrung von Gewalt, Tod und Trennung in positiver Weise umgesetzt werden.

Das psychische Erleben von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird durch ein kompliziertes Geflecht verschiedener Faktoren beeinflusst. Für das Verstehen von Traumatisierungen bei Flüchtlingskindern und –jugendlichen sollte eine einseitige Fokussierung auf Symptome der PTSD vermieden werden, denn sie kann zusätzlich pathologisieren und Kinder zu sehr als passive Opfer denn als aktiv Überlebende erscheinen lassen.

Da unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oft erfahren haben, dass ihr Zuhause zerstört wurde, haben sie Schwierigkeiten, wieder ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit herzustellen. Die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen kann durch langanhaltende traumatische Bedingungen, wie sie in vielen Krisen- und Bürgerkriegsgebieten der Welt herrschen, massiv beeinflusst sein. Dauerhafte Gewalterfahrungen werden in das psychische System integriert, die moralische Entwicklung und die Identitätsentwicklung beeinflusst.

In Anlehnung an Keilson (1979) kann davon ausgegangen werden, dass die Zeit nach der Ankunft im Aufnahmeland für traumatisierte Kinder und Jugendliche eine große Bedeutung für deren weitere psychische Entwicklung hat. Keilson hatte am Beispiel von jüdischen Kriegswaisen nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt, dass deren Erlebnisse in der Nachkriegszeit (als sogenannte dritte traumatische Sequenz) die erfahrenen Traumatisierungen sowohl verstärken als auch mindern konnten. „Die Bedeutung der dritten Sequenz liegt in der Qualität des Pflegemilieus, in seinem Vermögen, die Traumatisierungskette zu brechen und dadurch das Gesamtgeschehen zu mildern, nämlich selbst die erforderliche Hilfe zu bieten oder rechtzeitig Hilfe und Beratung zu suchen, resp. in seinem Unvermögen hierzu, wodurch die Gesamttraumatisierung verstärkt wird“ (Keilson 1979, S. 430).

Anforderungen an die Soziale Arbeit mit minderjährigen Flüchtlingen

Bezogen auf traumatisierte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ergibt sich aus Keilsons Erkenntnissen eine große Verantwortung für den Umgang mit diesen Kindern und Jugendlichen. Diese liegt vor allem darin, den Minderjährigen nach ihrer Ankunft in Deutschland eine auffangende Umgebung und die nötigen Hilfen zur Verfügung zu stellen. Hierbei kommt der pädagogischen Betreuung in den aufnehmenden Jugendhilfeeinrichtungen eine große Bedeutung zu. Den Bemühungen, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Angebot zu machen, das ihrem Bedürfnis nach Sicherheit, Struktur und Zukunftsperspektiven nachkommt, steht jedoch vor allem der meist unsichere Aufenthaltsstatus der Minderjährigen entgegen.

Durch Erlebnisse wie Krieg und Flucht haben viele Minderjährige Vertrauensbrüche erlebt. Ihre Eltern und Familien konnten sie nur bedingt schützen und sie waren Gefühlen von Unsicherheit und Angst ausgesetzt. Ihnen muss geholfen werden, wieder Mut zum Vertrauen zu fassen und Lust und Interesse zu gewinnen, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen, denn diese helfen, wieder Halt zu finden und sich in ein Alltagsleben zu reintegrieren. Hierbei ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen Verständnis entgegenzubringen, sie emotional zu unterstützen, sich ihrer Sorgen und Ängste anzunehmen, sie zu ermutigen, Probleme anzugehen und ihnen zu helfen, schwierige Situationen zu bewältigen und mit ihnen fertig zu werden. Erste wichtige pädagogische Ziele sind die psychische Stabilisierung, soweit möglich, und Hilfe im fremden, oft unverständlichen Alltag. Besonders hervorzuheben ist in der Ankunftsphase die Bedeutung eines strukturierten Tagesablaufs für die Kinder und Jugendlichen.

Das Auftreten von psychischen Symptomen kann verringert werden, wenn soziale Eingebundenheit und Eigenverantwortlichkeit gefördert werden und dem jungen Flüchtling möglichst schnell ein soziales Umfeld zur Verfügung gestellt wird, das ihn von unnötigen Anpassungsanforderungen entlastet und ihm Hilfestellungen bietet. Dabei sind der Aufbau von Freundschaften zu Landsleuten, der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu einem Betreuer sowie die Anbindung an eine Gleichaltrigengruppe wichtige Faktoren. In diesem Zusammenhang sollten, soweit möglich, immer einige Kinder und Jugendliche gleicher ethnischer Herkunft zusammen untergebracht werden. Der Anschluss an eine Gleichaltrigengruppe hilft den Minderjährigen, sich schrittweise von der Beschäftigung mit dem Trauma, dem Festhalten an der Vergangenheit zu lösen. Die Aufgabe der Betreuer liegt hierbei darin, die Kompetenzen der einzelnen zu erkennen und zu fördern.

Dem Bedürfnis nach einem schützenden und unterstützenden Umfeld könnte am besten durch einen zumindest mittelfristig gesicherten Aufenthalt entsprochen werden. Schutz kann aber auch dadurch vermittelt werden, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wissen, dass sich ihre Betreuer für ihre Aufenthaltssicherung und andere Belange einsetzen, sie zum Beispiel bei Behördengängen begleiten und zu ihnen stehen.

Hierbei ist es eine große Erleichterung für den Minderjährigen, wenn der Betreuer auf die auftretenden Symptome wie Depression, Schuldgefühle, Schlaflosigkeit etc. in der Weise eingeht, dass er sie als „normale Reaktionen“ auf extrem belastende Umstände erklärt und sie so verständlich macht. Dies trägt dazu bei, den jungen Flüchtlingen etwas von der Spannung, dem Druck und den Schuldgefühlen zu nehmen, die auf ihnen lasten und ihr Vertrauen in die eigenen Gefühle wieder zu stärken.

Unter normalen Umständen tragen Menschen bestimmte gesunde und grundsätzliche Annahmen in sich, die ihnen helfen zu überleben und ihnen einen allgemein positiven Ausblick auf die Welt verschaffen, zum Beispiel der Glaube an die eigene Unverwundbarkeit oder daran, dass die Welt ein wohlgeordneter Ort ist und Dinge aus bestimmten Gründen geschehen. Durch das Erfahren von Traumata werden diese Annahmen meist zerstört. Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel im Krieg Zeugen von Massakern waren und miterlebt haben, wie nahe Verwandte getötet oder vergewaltigt wurden, sehen keine Zukunftsperspektiven, da ihr Glaube an die eigene Zukunft erschüttert wurde. Hier bedarf es einer langsamen Wiederherstellung dieser Annahme, die Minderjährigen müssen darin unterstützt werden, wieder Visionen für ihre Zukunft zu entwickeln und sich realistische Zukunftsperspektiven zu schaffen. Durch die drohende Abschiebung sind viele junge Flüchtlinge jedoch immer wieder mit ihrer Vergangenheit, und somit auch mit ihren traumatischen Erfahrungen, konfrontiert. Ein Gefühl der Sicherheit kann sich dadurch nicht einstellen.

Um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge optimal unterstützen zu können, müssen pädagogische Fachkräfte über spezifische Kenntnisse verfügen, so vor allem über Entwicklungsaufgaben und Entwicklungsprobleme von Kindern und Jugendlichen mit Berücksichtigung von interkulturellen Unterschieden, möglichen traumatischen Erlebnissen von Flüchtlingskindern und deren Auswirkungen sowie wichtige protektive Faktoren. Für Pädagogen, die mit minderjährigen Flüchtlingen arbeiten, sollten gezielt Fortbildungen angeboten werden, die vor allem die gesellschaftlichen Bedingungen in vielen Herkunftsländern und die Auswirkungen von Traumata auf Kinder und Jugendliche thematisieren.

Folgerungen

Dem Bedürfnis von traumatisierten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach einer sicheren, unterstützenden Umgebung kann zur Zeit nicht ausreichend Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang ist vor allem der unsichere Aufenthaltsstatus der meisten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu nennen, wodurch diese Kinder und Jugendlichen in ständiger Unsicherheit und Angst vor der Abschiebung leben. Konsequente, erfolgreiche Betreuungsarbeit kann letztlich jedoch nur auf der Basis eines gesicherten Aufenthaltsrechts, zumindest bis zur Volljährigkeit der Jugendlichen, stattfinden. Das gleiche gilt für die therapeutische Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, denn traumatische Erfahrungen können nur unter der Voraussetzung eines Gefühls von Sicherheit und Distanz zum Erlebten verarbeitet werden.

Das gestiegene wissenschaftliche Interesse für die Folgen von Krieg und politischer Gewalt für Kinder und Jugendliche, das sich in der neueren internationalen Fachliteratur spiegelt, ist zu begrüßen. Jetzt wäre es wünschenswert, wenn auch die Aufmerksamkeit für die psychosoziale Situation von Flüchtlingskindern sowie speziell von unbegleiteten Flüchtlingskindern in der Bundesrepublik steigen würde. Zum einen sollte das Thema in die Forschung und Lehre der einschlägigen Wissenschaften integriert sowie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit angestrebt werden.

Die Sozialpädagogik sollte einheitliche Betreuungsstandards unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von traumatisierten Flüchtlingskindern und –jugendlichen erarbeiten, und diese innerhalb der Jugendhilfe etablieren. Darüber hinaus würde die Schaffung von geeigneten therapeutischen Angeboten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit Traumatisierungen sowie anderen psychischen Problemen dazu beitragen, bessere Lebensbedingungen für diese Kinder und Jugendlichen herzustellen. Ein positives Beispiel in diese Richtung ist die Arbeit der Ambulanz für Flüchtlingskinder und ihre Familien der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg.

Sozialpädagogisches Handeln bewegt sich hier jedoch zwischen zwei Fronten: Auf der einen Seite stehen die Ansprüche der Sozialpädagogik, die darin bestehen, Vertrauen herzustellen, die Integration zu fördern oder Zukunftsperspektiven aufzubauen. Auf der anderen Seite steht das Ausländer- und Asylrecht, das bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen das Erreichen der genannten pädagogischen Ziele aus den oben dargestellten Gründen erschwert oder gar verhindert. In diesem Spannungsfeld entsteht eine unklare Anspruchslage der Sozialpädagogik (in bezug auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge), bei der das Selbstverständnis von Sozialpädagogik, deren Möglichkeiten und Mittel sowie die Rechtslage nicht miteinander vereinbar sind.

Die aktuelle Rechtslage in der Bundesrepublik wird somit der Problemlage, die sich aus der Flucht von alleinstehenden Kindern und Jugendlichen ergibt, nicht gerecht. In diesem Zusammenhang liegt es an den Sozialpädagogen und anderen Personen, die sich mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beschäftigen, auf diese Missstände immer wieder öffentlich hinzuweisen. Damit ist innerhalb dieses Arbeitsgebietes von der Sozialpädagogik ein Handeln auf zwei Ebenen gefordert: auf der pädagogischen und der politischen.

Literatur

Angenendt, Steffen: Kinder auf der Flucht. Minderjährige Flüchtlinge in Deutschland. Im Auftrag des Deutschen Komitees für UNICEF, Opladen 2000.

Fischer, Gottfried/Riedesser, Peter: Lehrbuch der Psychotraumatologie, München und Basel 1999.

Jockenhövel-Schiecke, Helga: Schutz für unbegleitete Flüchtlingskinder: Rechtsgrundlagen und gegenwärtige Praxis. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 1998, S.165-175.

Jordan, Silke: Fluchtkinder. Allein in Deutschland, Karlsruhe 2000.

Keilson, Hans: Sequentielle Traumatisierung bei Kindern: deskriptiv-klinische und quantifizierend-statistische follow-up Untersuchung zum Schicksal der jüdischen Kriegswaisen in den Niederlanden, Stuttgart 1979.

Macksound, Mona: Kindern helfen, mit Kriegsbelastungen fertig zu werden. Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer, Schweizerisches Komitee für UNICEF, Zürich 1997.

Menzel, Hans-Joachim: Minderjährige Flüchtlinge zwischen völkerrechtlichem Kinderschutz und nationaler Ausländerabwehr. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 1996, S. 22-27.

Sobotta, Joachim: Die Welt hat mich kehrvert gemacht ... Zur psychosozialen Situation minderjähriger Flüchtlinge. In: Weiss, Karin/Rieker, Peter: Allein in der Fremde. Fremdunterbringung ausländischer Jugendlicher in Deutschland, Münster, New York, München u.a. 1998, S.107-119.

Weiss, Karin/Enderlein, Oggi/Rieker, Peter: Junge Flüchtlinge in multikultureller Gesellschaft, Opladen 2001.

WOGE e.V./Institut für Soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): Handbuch der Sozialen Arbeit mit Kinderflüchtlingen, Münster 1999.

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