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FAQs: Migration  FAQs: Migration

 

Klaus J. Bade, Jochen Oltmer, Normalfall Migration: Texte zur Einwandererbevölkerung und neue Zuwanderung im vereinigten Deutschland seit 1990, Bundeszentrale für Politische Bildung bpb 2004

Kapitel 1 Wanderungen und Wanderungspolitik

Vom späten Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

1.1 Ein Auswanderungsland wird „ Arbeitseinfuhrland" - Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert

1.2 „Feindliche Ausländer" im Ersten Weltkrieg

1.3 Migration und Protektionismus in der Zwischenkriegszeit

1.4 Arbeitsmarktkontrolle und Zuwanderungsbegrenzungspolitik

1.5 Flucht, Vertreibung und Emigration als Massenphänomene

1.6 Flucht, Deportation und Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg


1.4 Arbeitsmarktkontrolle und Zuwanderungsbegrenzungspolitik

Für die Ausländerbeschäftigung der Weimarer Republik blieb die weithin bruchlos aus dem kaiserlichen Deutschland übernommene ethnonational argumentierende antipolnische „Abwehrpolitik“ konstitutiv. Vor 1914 hatte Preußen zwar aus wirtschaftlichen Gründen die Zuwanderung auslandspolnischer Arbeitskräfte toleriert, zugleich aber mithilfe der antipolnischen Abwehrpolitik ihre dauerhafte Zuwanderung aus nationalitätenpolitischen Gründen verhindert. Handlungsleitend war dabei das Schreckbild der Wiedererrichtung eines polnischen Staatswesens – über eine permanente Stärkung der polnischen Minderheit in Preußen – gewesen (siehe hierzu auch S. 5 ff.).

Nach 1918 war die Wiederaufrichtung eines polnischen Staates nicht zuletzt auf Kosten des Reichs­territoriums Realität geworden. Die deutsche Migrationspolitik stellte in der Weimarer Republik bei der Zulassung auslandspolnischer Arbeitskräfte weiterhin wirtschaftliche Erwägungen in den Vordergrund, und die Verhinderung der permanenten Ansiedlung war nach wie vor das Hauptziel der zuwanderungspolitischen Maßnahmen. Trotz des erheblichen Rückgangs der polnischen Minderheit im Reich nach dem Ersten Weltkrieg bildete immer noch das ethnonationale Schreckbild einer „Polonisierung“ des preußischen Ostens die Basis der antipolnischen Abwehrpolitik. Sie verstand weiterhin die Zuwanderung polnischer Arbeitskräfte ins Reich als Gefahr für die innere und äußere Sicherheit, für Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Gesellschaft und Kultur Deutschlands.

Zugleich wuchs die Bedeutung der Arbeitsmarktpolitik für die Ausländerbeschäftigung. Als Bestimmungsfaktor und beherrschendes Thema der Diskussion in der durch Wirtschaftskrisen geschüttelten Weimarer Republik hatte nunmehr die Formel vom „Schutz des nationalen Arbeitsmarkts“ die Rede von der „Leutenot“ in Industrie und Landwirtschaft abgelöst. In der Weimarer Republik war der Auf- und Ausbau einer flächendeckenden Arbeitsverwaltung neben der Entwicklung einer einheitlichen Arbeitslosenversicherung das wichtigste sozialpolitische Modernisierungsvorhaben. Seinen vorläufigen Abschluss fand dieses Projekt mit dem „Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ (AVAVG) vom 16. Juli 1927, mit dem auch die „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ geschaffen wurde. Diese führte die Aufsicht über die reichsweit 13 Landesarbeitsämter und 361 regionalen Arbeitsämter.

Die weit reichende Entwicklung einer modernen Arbeitsverwaltung schuf die Voraussetzungen für eine arbeitsmarktorientierte Ausländerpolitik. Angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage in Deutschland galt als Vorgabe für die Ausländerpolitik ein klarer „Inländervorrang“ auf dem Arbeitsmarkt; ausländische Arbeitskräfte durften nur Ersatz- oder Zusatzfunktionen wahrnehmen. Dies entsprach Forderungen der deutschen Arbeiterbewegung, die bereits in der Vorkriegszeit entwickelt worden waren und angesichts der neuen politischen Macht von Gewerkschaften und Parteien der Arbeiterbewegung in der Anfangsphase der Weimarer Republik durchgesetzt werden konnten: So durften Ausländer ausschließlich unter den Bedingungen der für die einheimischen Arbeitskräfte gültigen Tarifverträge beschäftigt werden, um Lohndruck zu verhindern.

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Nach einer Übergangsphase, die durch die wirtschaftliche und personelle Demobilmachung geprägt war, wurde ab 1920 auf der Basis dieser Leitlinien die Ausländerbeschäftigung über ein zunehmend weiter ausdifferenziertes Instrumentarium geregelt.

Das Ziel der Minimierung und Flexibilisierung der Ausländerbeschäftigung mit ihrer strikten Ausrichtung auf die Konjunkturlage konnte dabei 1922 mit dem „Arbeitsnachweisgesetz“ noch stärker zur Geltung kommen. Die bis dahin erlassenen einzelnen Vorschriften wurden nunmehr vereinheitlicht. Alle Fäden der Ausländerzulassung („Genehmigungsverfahren“) liefen zentral bei der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zusammen, während die Anwerbungen im Ausland weiterhin die halbamtliche „Deutsche Arbeiterzentrale“ erledigte. Um die Beschäftigung der Ausländer flexibel zu halten und sie der konjunkturbedingt schwankenden Angebot-Nachfrage-Spannung am Arbeitsmarkt schnell anpassen zu können, wurden Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen grundsätzlich nur für ein Jahr bewilligt. In der Landwirtschaft gab es sogar noch kürzere Fristen, abgesehen von denen für seit langem ansässige Ausländer, die über die „Befreiungsscheine“ eine unbegrenzte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung erhielten.

Mit dem deutsch-polnischen „Vertrag über landwirtschaftliche polnische Wanderarbeiter“ vom November 1927 konnte die deutsche Kontrolle über einen beträchtlichen Teil der Zuwanderungen noch stärker auf die Anwerbung ausgedehnt werden, denn der Vertrag sicherte die Anwerbung und auch Abschiebung polnischer Arbeitskräfte nach deutschen Bedingungen. Mit der Zentralisierung der Entscheidungskompetenzen bei der Reichsarbeitsverwaltung entwickelte sich in der Weimarer Republik die Zulassung und Ausgestaltung von Ausländerbeschäftigung zu einer rein staatlichen Domäne.

Das Genehmigungsverfahren ermöglichte der deutschen Arbeitsverwaltung im Inland die jährliche Anpassung der Zahl der ausländischen Arbeitskräfte an die Lage am Arbeitsmarkt insgesamt sowie in bestimmten Teilarbeitsmärkten. Eine polizeiliche Aufenthaltserlaubnis wurde ausländischen Arbeitskräften nur in den Fällen bewilligt, in denen eine Beschäftigungsgenehmigung und ein Arbeitsvertrag vorlagen. Die Beschäftigungsgenehmigung musste vom landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieb, der Ausländer beschäftigen wollte, beim zuständigen Arbeitsamt beantragt werden. Arbeitsmarktpolitischen Vorgaben entsprechend wurde die Beschäftigungsgenehmigung erteilt oder verweigert.

Über die Genehmigungspflicht von Aufenthalt und Arbeitsaufnahme war eine weit reichende Kontrolle und Steuerung möglich, sodass die Ausländerbeschäftigung im Vergleich zur Vorkriegszeit deutlich reduziert werden konnte: Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs sank die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte zunächst sehr stark fast auf ein Drittel (280000) ab, stabilisierte sich dann mit fast 300000 in den Jahren 1921/22 bis hin zu einem Absinken um ein Fünftel (225000) im Jahr der Hyperinflation 1923. Nach einem nochmaligen leichten Rückgang in dem durch eine Depression gekennzeichneten Stabilisierungsjahr 1924 (211000) stieg die Zahl der in Deutschland arbeitenden Ausländer im Jahr 1925 steil auf 263000 Personen an. Die Ausländerzahl sank dann erneut ab und schwankte in den Jahren von 1926 bis 1930 zwischen etwa 220000 und 240000. In der Weltwirtschaftskrise gingen die Zahlen stark zurück und lagen 1932 nur noch bei 109000. Die Ersatz- bzw. Zusatzfunktion ausländischer Arbeitskräfte zeigt sich damit sehr deutlich: In der Weltwirtschaftskrise spielte Ausländerbeschäftigung keine gewichtige Rolle mehr; zudem galt der größte Teil der verbliebenen Ausländer als „deutschstämmig“ und verfügte aufgrund langjähriger Tätigkeit in Deutschland über „Befreiungsscheine“.

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Angesichts der erheblichen strukturellen und konjunkturellen Erwerbslosigkeit bildete der Abbau der Ausländerbeschäftigung das Ziel der vor allem vom Reichsarbeitsministerium betriebenen Ausländerpolitik in der Weimarer Republik. Dabei richtete sich der Blick kaum jemals auf die Ausländerbeschäftigung in der Industrie. Hier waren die ausländischen Industriearbeiterinnen und -arbeiter zumeist als qualifizierte Arbeitskräfte in Beschäftigungsbereichen tätig, die nicht über ein ausreichendes Potenzial an einheimischen Facharbeitskräften verfügten. Die Gruppe der ausländischen Industriearbeiterinnen und -arbeiter war zudem in der Regel seit langen Jahren in Deutschland beschäftigt, verfügte deshalb mit dem „Befreiungsschein“ über einen besseren Aufenthaltsstatus und galt auch in nationalitätenpolitischer Hinsicht als unproblematisch: Ein Großteil stammte aus den Niederlanden und Österreich, und diejenigen, die aus Ostmittel- und Südosteu­ropa kamen, waren in der Regel „deutschstämmig“. Der Abbau der Ausländerbeschäftigung war deshalb vor allem ein Thema des landwirtschaftlichen Arbeitsmarktes, auf dem in der Weimarer Republik, sieht man von der Weltwirtschaftskrise ab, auch der überwiegende Teil der ausländischen Arbeitskräfte beschäftigt war.

Seit Mitte der 1920er-Jahre sollte die „Kontin-gentierung“ zum Abbau der Ausländerbeschäftigung in der Landwirtschaft beitragen: Jährliche planmäßige Verminderungen der zugelassenen Ausländerquoten nötigten die landwirtschaftlichen Unternehmer durch die absehbare Verringerung der Zahl ihrer landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus dem Ausland zur Suche nach Alternativen zur Ausländerbeschäftigung. Die Kontin-gentierungspolitik war zudem ein Bestandteil der antipolnischen „Abwehrpolitik“ in der Weimarer Republik, denn die Praxis der Kontingentkürzungen ließ eine Bevorzugung nicht-polnischer ausländischer Arbeitskräfte zu und konnte zugleich zur Sperrung bestimmter Beschäftigungsbereiche und/oder Regionen für polnische Arbeitskräfte führen. In der Weltwirtschaftskrise wurde die Kontingentierungspolitik gleichbedeutend mit einer Zuwanderungssperre: 1932, auf dem Höhepunkt der Erwerbslosigkeit im Reich, wurde das Kontingent faktisch auf Null abgesenkt. Mitte der 1920er-Jahre gelang es der deutschen Ausländerpolitik zudem, den seit der unmittelbaren Nachkriegszeit geforderten und mit Kriegsbeginn 1914 ausgesetzten „Rückkehrzwang“ für polnische Landarbeiterinnen und Landarbeiter wieder durchzusetzen. Voraussetzung dafür war zum einen Anfang der 1920er-Jahre die Etablierung eines geschlossenen Systems der Ausländerüberwachung. Sie war an der Arbeitsmarktentwicklung ausgerichtet, deren präzise Beobachtung durch die neuen Instrumentarien der Arbeitsverwaltung möglich geworden war. Voraussetzung war zum anderen die Erhöhung des Angebots an polnischen Arbeitskräften für die Landwirtschaft, die sich erst aufgrund der steigenden Zuwanderung aus Polen nach Überwindung der Nachkriegsinflation in Deutschland ergab. Mit der Wiedereinführung des „Rückkehrzwangs“ wurden den deutschen Behörden somit Instrumentarien an die Hand gegeben, durch eine Resaisonalisierung der polnischen Arbeitswanderung die Ansiedlung polnischer Landarbeiterinnen und Landarbeiter zu verhindern. Dieses bruchlos aus der antipolnischen Abwehrpolitik des Kaiserreichs überkommene Ziel verband sich in den späten 1920er-Jahren mit einer ethnonationalen Komponente, die vor allem auf die Anwerbung „deutschstämmiger“ Arbeitswanderer zielte:

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Obwohl die Ausländerbeschäftigung in der Weimarer Republik ein Problemfeld der Arbeitsmarktpolitik wurde, verloren antipolnische Abwehrpolitik sowie ethnonationale Vorstellungen und politische Artikulationen keineswegs völlig an Bedeutung. Bei den mit der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien Ende der 1920er-Jahre abgeschlossenen bzw. im Falle Rumäniens zumindest zeitweilig geplanten Anwerbeabkommen ging es nicht vorrangig um die Sicherung eines ausreichenden Potenzials ausländischer Landarbeitskräfte. Hintergrund waren vielmehr zum einen außenpolitische Erwägungen, die über vertragliche Vereinbarungen auch in Wanderungsfragen auf die Erweiterung der immer noch weithin beschränkten außenpolitischen Handlungsspielräume Deutschlands zielten. Zum anderen stand dahinter vor allem der Versuch, durch die verstärkte Rekrutierung von Saisonarbeitskräften aus den deutschen Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa die Zahl polnischer Arbeitskräfte in der deutschen Landwirtschaft zu reduzieren.

In erster Linie forcierte das Reichsarbeitsministerium die Rekrutierung „Deutschstämmiger“, vor allem durch den Abschluss von Wanderungsverträgen mit jenen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas, die über starke deutsche Minderheiten verfügten. Diese Politik ließ zwar in den späten 1920er-Jahren den Anteil der „deutschstämmigen“ gegenüber den auslandspolnischen Landarbeiterinnen und Landarbeitern ansteigen. Dennoch gelang es bei weitem nicht, die polnischen Landarbeiterinnen und Landarbeiter durch „deutschstämmige“ oder auch nur solche nicht-polnischer Nationalität zu ersetzen.

Wenige Tage vor dem Ende der Weimarer Republik wurde mit der „Verordnung über ausländische Arbeitnehmer“ vom 23. Januar 1933 die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte grundlegend geändert. Das geschah in einer Situation, in der Zuwanderungen von Arbeitsmigranten keine Bedeutung mehr hatten.

Das Zulassungsverfahren wurde gestrafft und zentralisiert, die Kontrollmöglichkeiten von Polizei und Arbeitsverwaltung wesentlich erhöht. Diese neue Verordnung bildete die Grundlage für die Gestaltung von Anwerbung und Ausländerzulassung im nationalsozialistischen Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg.

Das zunehmende Tempo der Wiederaufrüstung Deutschlands nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 ließ innerhalb weniger Jahre Arbeitskräftemangel wieder zu einem zentralen Thema der Arbeitsmarktpolitik werden. Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in der deutschen Industrie und Landwirtschaft nahm erneut stark zu. Die Kontingente, die die Höhe der Zuwanderung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte begrenzt hatten und die in der Endphase der Weimarer Republik auf Null gesetzt worden waren, wurden nunmehr wieder erhöht. 1937 lagen sie bei 10000, 1938 dann schon bei 60000 und 1939 bei 90000 Landarbeiterinnen und Landarbeitern. Hinzu kamen immer mehr industrielle Arbeitskräfte, sodass bis Mitte 1938 die Zahl der beschäftigten Ausländer auf rund 375000 anstieg. Sie aber konnten den geschätzten Bedarf an Arbeitskräften in der Rüstungskonjunktur bei weitem nicht ab­decken, denn trotz des zunehmenden Arbeits-kräftemangels blieb die Zuwanderungspolitik des nationalsozialistischen Regimes restriktiv: Zum einen galt die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte als Problem, weil die Devisenlage des Reiches aufgrund der Rüstungsanstrengungen sehr angespannt war.

Zum anderen verband sich aus der Sicht der rassistischen nationalsozialistischen Weltanschauung mit der Ausländerbeschäftigung die Gefahr einer „Überfremdung“ und der Gefährdung der „Blutreinheit“ der deutschen Bevölkerung. Obwohl Ausländer im Reich angesichts der Kriegsplanungen des „Dritten Reiches“ darüber hinaus auch als ein sicherheitspolitisches Problem eingeschätzt wurden, begannen schon früh Planungen für den Ausländer-Einsatz in der Kriegswirtschaft. Orientierungsmuster lieferte den nationalsozialistischen Machthabern dabei vor allem der Erste Weltkrieg (siehe hierzu auch S. 18 ff.).

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1.1 Ein Auswanderungsland wird „ Arbeitseinfuhrland" - Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert

1.2 „Feindliche Ausländer" im Ersten Weltkrieg

1.3 Migration und Protektionismus in der Zwischenkriegszeit

1.4 Arbeitsmarktkontrolle und Zuwanderungsbegrenzungspolitik

1.5 Flucht, Vertreibung und Emigration als Massenphänomene

1.6 Flucht, Deportation und Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg

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